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Norburg

  • Einwohner: um 2700
  • Tempel: Hesinde, Rondra, Firun, Peraine
  • Stadtherrin: Bürgermeisterin Natascha Petrilowska
  • Garnisonen: 100 Stadtgardisten
  • Wappen: diagonal geteilt; links oben eine weiße Feste auf rotem Grund, rechts unten Blaufeh (blau und silbern)
  • Gasthöfe:Hotel am Markt (Q6/P7/26S), Haus Wolfsruh (Q5/P6/25S), Gasthaus von Albin Hollerow (Q5/P5/23S), Am Badehaus (Q5/P4/ 20S), Schwamm und Seife (Q4/P5/16S), Zum Karen (Q3/P5/15S), Schänke Ogerfaust (Q2/P4/10S)

Der Schäfer in seiner Not aber schlug dem Wolf eine Pfote ab. Die wikkelte er in ein Ledertuch und brachte sie dem Grafen von Norburg. Da er sie aber hervorholte, lag da eine Frauenhand und daran ein Ring mit dem gräflichen Wappen. Der Graf sprang auf und suchte die Kemenate auf. Dort lag sein Weib darnieder, und der Medicus war bei ihr, da sie einen Unfall gehabt. Der Graf ergriff ihren Arm, und siehe, die Hand war abgetrennt.
aus der bornländischen Volkssage vom Wolf von Norburg

Norburg — Festum des Nordens, bedeutendste Handelsstadt für den bornischen Handel in ganz Nordaventurien, findet erstmalig 298 BF Erwähnung in den Chroniken des Heiligen Ordens unserer Herrin vom Theater in Arivor. Dennoch waren es nicht die Theaterritter, die diese Stadt ursprünglich gründeten: Vielmehr gab es schon zur Zeit der Kusliker Kaiser – also vor dem Fall Bosparans – an gleicher Stelle eine Stätte der Zusammenkunft mit dem Namen Starpnika. Nivesen und Norbarden trafen sich hier, unmittelbar am Ufer des Born, um Waren zu tauschen und sonstigen Handel zu treiben. Diesen Ort erwählten die Theaterritter — sicher auch aus strategischen Erwägungen für die Errichtung ihrer neuen Ordensfeste Norburg, deren Name bald auch Verwendung für die zu ihren Füßen erblühende Stadt fand. Heute kann man die Stadt als bedeutenden Umschlageplatz für den bornländischen Handel mit ganz Nordaventurien bezeichnen, die ihren Wohlstand nicht nur aus Häuten und Pelzen bezicht, sondern auch aus den hier gezüchteten Norburger Riesen, einer kaltblütigen Pferderasse, die vom Gras der Grünen Ebene profitiert. Im Winter übrigens, wenn die Straßen verschneit und die Bäche gefroren sind, läßt der Handel kaum nach, wenn Nivesen und Norbarden mit Schlitten und vollgepackten Karenen von ihren nahegelegenen Winterlagern in die Stadt kommen.

Wer von Osten her auf der Bornstraße gen Norburg reist, dem wird manches von dem Zauber der Stadtsilhouette verborgen bleiben. Erklimmt man jedoch nördlich der Straße die Kuppe des "Greifenhügels", so findet man zunächst noch immer die Ruinen des einstmals überaus prächtigen Praiostempels (1), der nach dem Niedergang des Priesterkaisertums von den wütenden Seweriern zerstört wurde und der nun, als Bollwerk gegen die Schwarze Gefahr aus dem Norden, wieder aufgebaut werden soll. Wendet man sich von hier aus der Stadt zu, so blickt man auf ein prächtiges Panorama: Inmitten von Feldern, zur Rechten gesäumt von dem silbrig glänzenden Born, im Süden von Ausläufern des Bornwalds, liegt dem Betrachter eine Stadt zu Füßen, deren Farbenpracht und Lebendigkeit den Unkundigen, imitten der kargen Einsamkeit des Nordens, überraschen mag. Wie kleine, kunterbunte Würfel nehmen sich die Holzhäuser aus, dazwischen erblickt man stahlend weiß getünchte Gebäude oder größere Bauwerke aus buntem Stein, einige davon gar mit goldenen Dächern besetzt, die im gleißenden Licht der sewerischen Praiosscheibe funkeln, glänzen und spiegeln. Im Norden der Stadt erheben sich die uneinnehmbaren Mauern der alten Burg des Theaterordens (2), die längst nicht mehr wehrhaftem Zwecke dient, sondern zu einer prunkvollen Residenz ausgebaut wurde, die zum einen der hiesigen Bronnjarenfamilie — als Herrschern über das Umland -, hauptsächlich jedoch dem Rat der Stadtoberen von Norburg als Sitz dient. Auch die zwiebelförmigen Dächer der Burgtürme sind goldbedeckt.

Das zweite, was dem Neuankömmling auffällt, ist das beständige Schallen von Gongschlägen zu Fuße seines Beobachtungspostens ein offensichtliches Relikt der Priesterkaiserzeit: In der Burg, in den Tempeln, doch auch sonst überall in der Stadt sind die tönenden Scheiben aufgehängt, und der Norburger kennt eine Vielzahl von Gründen, sie erschallen zu lassen: Der eine Gong kündet eine bestimmte Tageszeit, ein anderer mag soeben für eine Hochzeitsgesellschaft angeschlagen werden, zu Ehren der Geburt eines neuen Derenbürgers oder als Totenklage. Wieder andere gemahnen an die Feuergefahr oder schlagen Alarm, falls tatsächlich, trotz aller Vorsicht, ein Brand ausgebrochen ist, eröffnen den Markttag, rufen zur Redlichkeit im Handel auf, beschließen die Ratsversammlung oder gedenken verstorbener Ehrenbürger, den Ahnherren der Stadt oder Mitgliedern des Bronnjarenhauses.

Das dröhnende Durcheinander von dumpf hallenden und hell klingenden Schlägen, solchen, die paukengleich die Brust zum Vibrieren bringen und anderen, die rein wie ein Glöckchen tönen, ist bestens dazu angetan, dem Ortsfremden die Sinne zu verwirren.

Wie so oft in großen Handelsstädten liegen auch in Norburg Reichtum und Elend nah beieinander. Hat man den Gürtel von Erdwällen und Palisaden neben steinernen Wehrbauten an den Toren die einzige Stadtbefestigung — hinter sich gelassen, so betritt man ein wirres Gassengeflecht, das von kleinen, bisweilen recht schmucken Holzhäusern gesäumt wird. Die hohen, spitzen Giebel schmücken zum Teil aufwendigste Schnitzarbeiten, wobei Rankenornamente und Rosetten ebenso Verwendung finden wie Symbole der Zwölfgötter, etwa Gans, Storch und Schwan.

Balken und Träger sind oft vielfältig eingekerbt und profiliert, dazu in allen nur erdenklichen Farben bemalt. Der Boden der Gassen besteht aus gestampftem Lehm, und nur die Hauptstraßen sind gepflastert oder durch in den Boden gerammte Holzpfähle befestigt. Wenn im Frühjahr oder im Herbst die Regenfälle die Lehmstraßen aufweichen, kann es passieren, daß man in dem einen oder anderen Gäßchen bis über die Knie im Schlamm versinkt. Auch der Schmutz ist allgegenwärtig, denn niemand macht sich die Mühe, den Unrat von den Straßen zu entfernen: Er sammelt sich zu einem dicken Belag, der über den Winter festfriert und mit dem nächsten Frühjahrsregen zu den Toren hinausgeschwemmt wird. So vermischen sich auch unzählige Düfte bis zum angenehme und weniger verlockende Einsetzen des Frostes zu einem für Norburg typischen Geruch, der das Sprichwort ’Stinken wie ein Norburger im Efferd’ geprägt hat. Trotz allem spielt sich ein Großteil des Lebens in Norburg auf den Straßen ab: Hier drängen sich Geschäftsleute in Bausch, Handwerker in Leder, Müßiggänger in feinem Zwirn, Arbeiter und Bauern in Lumpen, Geweihte in ihren Roben und die allgegenwärtig erscheinenden Stadtgardisten in ihren rotweißen Wämsen und den gelben Stiefeln. An den Straßenecken spielen Musikanten zum Tanz auf, Akrobaten, Gaukler und Tanzbärenführer geben ihre Künste zum besten. Dazwischen irren barfüßige, unzulänglich bekleidete Bettler umber, die nach Almosen heischen. Doch alle weichen chrfurchtsvoll zur Seite, wenn ein Bronnjar und seine Begleitung zu Pferde daherkommen selbst wenn Norburg eine Freie Stadt ist, gilt den ’Sammlern bornischer Erde’ höchste Anerkennung.

Auf dem im Zentrum gelegenen Marktplatz (3) herrscht das dichteste Gewimmel: Händler bieten lautstark ihre Waren feil — und was es nicht alles zu kaufen gibt: Stoffe aller Web— und Macharten, Bronze— und Kupfergeschirr, Steingut, Eisenwaren, Leder— und Töpferwaren, hölzernes Gerät, dazu auf den Tischen und in Körben ausgestellt Backwaren, Fleischpasteten, Fische und Obst aus aller Herren Länder. Im Sommer bieten rund um den Marktplatz allerlei Barbiere ihre Dienste an, die ihrem Gewerbe im Freien nachgehen: Im Hausinneren müßte man hinterher kehren…

Südländische Reisende, die sich den Kopf ’nach Art des Landes’ frisieren lassen möchten, seien jedoch gewarnt: Manch braven Handelsreisenden, der sich hier, in einem Anflug von Übermut, den Kopf nach Norbardenart glatt scheren ließ, hat danach, beim Blick in den Spiegel, bittere Reue gepackt, zumal für die Dienste dieser selbsternannten Frisiermeister’ oft genug sündhafte Preise verlangt werden. Am Markt stehen ebenfalls das Hotel Am Markt (4) und das Haus Wolfsruh (5), zwei Häuser gehobener Qualität.

Gegen Ende des Winter sind die schneematschbedeckten Gassen voll von Norbarden, Pelzhändlern und Nivesen, die auf dem Weg ihrer Herden nach Süden in Norburg Rast machen. Darum wurden vor der Umfriedung der Stadt etliche Pferche angelegt und Scheunen voller Heu aus der Grünen Ebene. In jenen Tagen zieht es viele Schaulustige vor die Stadttore, was allzu verständlich ist: Niemand, der Norburg bei Winter gesehen hat die weiße Dampfwolke, die über den Karenherden in der Luft schwebt, das Schieben und Drängen der zusammengepferchten, hellgrauen Leiber, die goldenen Kuppeln der Ordensfeste im Abendlicht, die sich in der Ferne über einem Meer aus wogenden Geweihen erheben – wird diesen Anblick je vergessen. Alle vier Jahre, vom 7. bis 12. Peraine, findet in Norburg das berühmte aventurische Bardentreffen statt. Auch dann bietet die Stadt ein höchst lohnenswertes Reiseziel, und den Kenner der Schönen Künste lockt ein Ohrenschmaus, der seinesgleichen sucht. Seien es die getragenen Gesängen der Thorwalschen Skalden oder die ausgelassene Tanzmusik der Albernier, die schwermütigen, anrührenden Balladen, die man in Sewerien selbst kennt, oder der fremdartige Zweistimmgesang der Nivesen und Elfen – hier zeigt sich die bunte Vielfalt der hesindianischen Gaben ebenso wie die Ernsthaftigkeit der Bemühungen, mit der man sich überall auf der Welt müht, sich als des göttlichen Geschenkes würdig zu erweisen.

Da rund sieben von zehn Häusern aus Holz erbaut sind, besteht in Norburg stets die Sorge vor Feuer, die zu einer langen Liste von Erlassen des Stadtrates geführt hat. So ist es etwa bei schärfster Strafe (bis hin zum Stadtverweis) untersagt, das Herdfeuer über Nacht brennen zu lassen, und Kerzen, die bis auf zwei Finger heruntergebrannt sind, müssen gelöscht werden. Über die Einhaltung dieser Bestimmungen wachen Patrouillen der Stadtgarde, von Sonnenuntergang bis in die frühen Morgenstunden. Doch trotz all dieser Vorsichtsmaßnahmen gab es mehrfach große Brände, bei denen ganze Straßenzüge vernichtet wurden. Im Falle eines Feuers müht man sich, vor allem in den Wintermonden, wenn kein Löschwasser zur Verfügung steht, selten darum, das betroffene Haus zu löschen. Vielmehr geht man daran, in einigem Abstand andere Häuser einzureißen, um eine Ausbreitung über mehr als fünf bis sechs Gebäude zu verhindern. Zwar wird der Wiederaufbau der Holzhütten mit vercinten Kräften in Angriff genommen und den Betroffenen, Travias Geboten gehorchend, in der ganzen Nachbarschaft Unterschlupf und Nahrung gewährt, doch Ererbtes und Erwirtschaftes sind trotz alledem dahin, und schon manch einer sollte sich von einem solchen Schicksalschlag nie mehr erholen und ein düsteres Ende finden…

Tatsächlich wird auch in den wenigen aus Stein erbauten Häusern eine Unmenge an Holz verwendet. Will man verhindern, daß sich angesichts der Kälte der Wände die Luftfeuchtigkeit an den Mauern niederschlägt, müssen die Zimmer innen mit Holz getäfelt werden. In wirklich reichen Haushalten wird diese Verkleidung noch mit Leder bespannt, bevor man wertvolic Draperien und Wandteppiche darüberhängt.

Verläßt man den Marktplatz in Richtung auf die alte Ordensfeste, so erreicht man jenen Stadtteil, der fast alle der steinernen Gebäude beherbergt. Zunächst fällt der Blick auf das rotmarmorne Kontor des Hauses Surjeloff (6), gegenüber liegt die aus elfischem Blaustein erbaute Filiale der Nordlandbank (7), deren Grasdach jüngst durch flache, karmesinrote Dachpfannen nach Garether Machart ersetzt wurde. Ein Stück weiter nördlich trifft man auf die weißen Mauern der Halle des Lebens (8), die weit über die Grenzen des Bornlands hinaus als Akademie für Heilungsmagic Bekanntheit erlangt hat, die derzeit noch weiter zunehmen dürfte. Nach dem Fall Ysilias und der Vernichtung der dortigen Antimagierakademie sind einige der ehemaligen Magister und Schüler auch der Einladung der Norburger Schule gefolgt und haben ihren Weg ins Bornland gefunden, wo sie nun als Gäste der Akademie leben und vor allem in einer Hinsicht den Lehrplan beeinflußt haben: Der Begriff der ’Heilung’ wird von den Norburgern nunmehr weit über die Grenzen des eigentlichen magietheoretischen Fachbereiches ausgedehnt und umfaßt auch Dinge, die eher zur Antimagie zählen, denn die ’Heilung des Landes’ von Dämoneneinwirkungen und borbaradianischen Pervertierungen wird ebenso angestrebt wie das Heilen des menschlichen Geistes von Beherrschungen und Trugzaubern.

Gildenpolitisch spielt die Halle des Lebens ein bemerkenswerte Rolle: Die nördlichste Weiße Akademie kann sich nur wenig um die inrernen Angelegenheiten der Weißen Gilde kümmern, und ihre starke Prägung durch die nicht gerade zwölfgöttergetreue Elfenzauberei ist den anderen Weißen Schulen auch ein Dorn im Auge — doch andererseits steht man hier "böser" Magic sehr entschlossen gegenüber, ja selbst Kampfzauberei wird eigentlich abgelehnt.

(Nebenbei sei erwähnt, daß in dieser Akademie zur Rohalszeit das Liber Purificatum verfaßt wurde, eines der grundlegenden Werke zu Heilkunst und Hygiene – allein, wie die Zustände der Straßen und die vor wenigen Jahren nur knapp abgewendete Zorganpocken-Epidemic zeigen, handelt es sich hierbei wohl um klassisches "verlorenes Wissen"…)

Schließlich mündet die Straße auf einen Platz von vielleicht fünfzig mal fünfzig Schritt, in dessen Mitte eines der Wahrzeichen Norburgs zu finden ist: die legendäre Weiße Rondra (9), ein zwei Mann hohes, weißmarmornes Standbild der Göttin auf einem massiven Sockel mit Löwenfresken. Wer die feingeschnitzten, ebenmäßigen Züge der Statue mit ihren wilden, schulterlangen Locken aufmerksam betrachtet, wird sich vielleicht an das Antlitz der Gräfin von Ilmenstein erinnert fühlen – und in der Tat spricht manches dafür, daß Thesia von Ilmenstein in ihrer Jugend dem Bildhauer Modell stand. In ihrer filigranen und detailtreuen Machart bildet die Statue einen deutlichen Kontrast zu dem dahinterliegenden, eher trutzigen Tempel der Rondra (10) aus Buntsandstein, der drei Brände und die zeitweilige Umwandlung in einen Pferdestall überstanden hat. Der einzige andere aus Stein erbaute Tempel ist das Heiligtum der Hesinde (11), ein Kuppelbau auf sechseckiger Basis im norbardischen Stil. Seine geschliffenen und polierten Außenwände aus Koschbasalt haben schon so manchen Magier ins Nachdenken gestürzt, dienen aber weniger der Abwehr von Zauberei als hauptsächlich dem Schutz des darunter befindlichen Ziegelwerks aus gebranntem Lehm.

Ähnlich verhält es sich auch mit dem Ritus selbst: Zwar verwendet er alle äußeren Kennzeichen und Abzeichen der allgemeinen Hesinde-kirche, doch darunter verbirgt sich ein sehr urtümlicher, bewußt mysteriöser Kult, der in norbardischer Weise die Hesinde als Allweise Herrin, ja, beinahe als Allmutter verehrt und stets am Rande der Ketzerei schwebt. Für die Norbarden ist der Tempel eines der wichtigsten Heiligtümer, das ihrem Volk geblieben ist, die übrigen Norburger hingegen ignorieren das Götterhaus cher für sie ist es zu eng mit einem geheimnisvollen Volk verbunden, dem sie nun einmal nicht angehören. Auswärtige Besucher werden (Frömmigkeit vorausgesetzt) sehr freundlich behandelt, doch ein meisterlicher Theologe kann aus den inspirierten, oft in einem breiten Gemisch aus Garethi und Alaani gehaltenen Predigten der Tempelmutter Heschnaja Grandireff die eine oder andere Aussage entnehmen, die anderenorts längst als Häresic gebrandmarkt wurde.

Unweit vom Hesindetempel befindet sich das im Jahre 1016 BF neu errichtete Ordenshaus der Marbiden (12). Die in schwarze, mit weissem Rabenbildnis auf Brusthöhe geschmückte Kutten gewandeten Geweihten vom Orden zur Sunften Ruhe sind freilich nur selten in dem lärmenden Menschengewirr auf Norburgs Straßen anzutreffen. Schließlich erreicht man die umgebaute Ordensfeste der Theaterritter selbst; ein hoch aufragender Bau mit sechs goldgedeckten Türmen, zwischen denen man die ehemaligen Burggebäude entfernt und durch einen großen Palas ersetzt hat. Dieser Bau aus Buntsandstein, ebenfalls mit einem goldenen Dach versehen, streckt seine drei Flügel zwischen den Türmen aus. Im nach Nordosten gerichteten Gebäudeteil residiert der Rat der Stadtoberen von Norburg, derzeit unter dem Vorsitz von Natascha Petrilowska, ciner an die sechzig Götterläufe zählenden Handelsherrin, die hauptsächlich in feinen Tuchen ihr Geld gemacht hat.

Traditionell gehört Norburg, wie etwa auch Firunen, zu den Zöglingen Festums und das fürwahr aus einem wichtigen Grund: Die Bornstraße nach Norden war immer die wichtigste Handelsstraße ins Hinterland, und so wollten sich die Festumer stets loyale und wehrhafte Handelssiedlungen an wichtigen Stellen sichern, und die beiden Orte, wo die Straße den Bornstrom verläßt bzw. erreicht, gehören natürlich dazu. Heute allerdings ist die Bedeutung dieser Straße durch die Bedrohung der Seefahrt so sehr gestiegen, daß Norburg im Vergleich zu Festum durchaus als aufstrebend bezeichnet werden kann, und das schlägt sich naturgemäß auch in den gegenseitigen Beziehungen nieder: Die Begeisterung der Norburger für Festumer Dinge ist unverändert groß, und in kultureller, ja sogar in landespolitischer Hinsicht wird Festum immer noch als Vorbild und Führungsmacht akzeptiert; in vielen wirtschaftlichen Fragen wollen die Norburger Handelsherren inzwischen aber gerne ihre eigenen Entscheidungen fällen und akzeptieren die von Festumern gewünschten Regelungen und Maßnahmen (die oft genug vor allem den Reichtum der größeren Stadt mehren sollen) keineswegs so klaglos wie noch vor einigen Jahren.

Der derzeitige Stadtrat wird mehrheitlich von Kaufleuten gestellt, die als Anhänger eines starken, bornlandweiten Bürgerbundes gelten und daher auch den Festumern eine große Mitsprache in den Geschäften der Stadt einräumen, doch inzwischen proklamiert eine immer größere Bewegung von eher örtlichen Händlern und Handwerkern ein schmetterndes „Norburg zuerst!“ und fordert, daß alle Stadtfremden mit deutlichen Steuern und Zöllen belegt und der Rat ein strenges Stapelgebot einführen soll – ein solches Gesetz würde alle Händler zwingen, sämtliche mitgeführten Waren in Norburg zum Verkauf anzubieten, was ihnen erhebliche Zeiteinbußen und Umstände, den Norburgern aber besondere Gewinne ob ihres großen Marktes einbringen würde.

In dem nach Nordwesten zeigenden Trakt residiert weiterhin der Hofstaat des lokalen Bronnjaren, Graf Isidor von Norburg, der über das Umland der Stadt herrschte. Nach seinem Tod bei der "Schlacht bei Ochs" und "Eiche" schien der Grafenthron verwaist, doch nur denjenigen, der die Machtfreude bornischer Hofadliger nicht kennt, konnte es überraschen, als der Norburger Obersthofmeister Rastelan von Garstenitz einen unerwarteten Erben der Grafenkrone präsentierte: den 1008 BF geborenen unehelichen Sproß des vormaligen Grafen, den dieser noch zuletzt anerkannt haben soll. Der junge Tsadan ist damit zu einem unmündigen Erben geworden, an dessen Stelle und in dessen Namen der alte machtbewußte Hofstaat regiert, der schon Graf Isidor (so meinen die sehr freimütigen Norburger) in wirre Träume von der Vorherrschaft über das westliche Sewerien getrieben hat. Ebenso ist es Stadtgespräch, daß bereits jetzt die ehrgeizige und gefürchtete Rahjalieb-Rondirai von Ask als nächstfolgende Verwandte ihre Finger nach den Ländereien Norburgs ausstreckt, zumal sie den Bastard Tsadan bislang nicht anerkennt und den alten Hofstaat und nunmehrigen Vormundschaftsrat um von Garstenitz mehrfach mit scharfen Worten angegriffen hat.

Im Südflügel schließlich ist der (beachtliche) Verwaltungsapparat der Stadt untergebracht und es gibt unzählige Anlässe, bei denen ein Norburger wegen irgendeines Dokumentes einen halben Tag lang durch die Schreibstuben der Burg hetzen muß.

Interessant ist sicher auch eine Besichtigung der Südtürme selbst allein schon wegen der dort aufgehängten Gongscheiben. Die größte, der sogenannte Bärengong, ist aus massivem Silber gefertigt und eröffnet alljährlich am 1. Firun den Tag der Jagd. Sein Klang ist so eisig und silberrein, daß er bis in die Holzstadt hincin alles Glas zum Klirren bringt und manchmal auch zersplittern läßt. Aber auch der Hlûthargong, zu Ehren der Kriegsgöttin geschlagen, und der klagende, geschwärzte Rabengong sind schens— und hörenswert. Außerhalb der Stadtwälle befinden sich die Sitze der Reichen und der Edlen. Zu zahlreich sind sie, um sie alle aufzuzählen. Wichtig ist jedoch die Fortsetzung der Bornstraße gen Westen, die über das ehemalige Flußbett des Born hinweg den Handelsweg nach Gerasim er— schließt. Da der Born mittlerweile sein Bett recht weit verlagert hat, überquert man den Fluß erst sechs Meilen von der Stadt entfernt, nabe des kleinen Weilers Ask, nur wenige Meilen südlich des Zusammenflusses von Linkem und Rechtem Born.

Der Firuntempel zu Norburg (13)

Man sollte meinen, daß in einer Stadt wie Norburg, wo die Menschen Jahr für Jahr Firuns Grimm ausgeliefert sind und das Wildbret rar ist, dem Gott der Jagd der aufwendigste Kult angedeiht in der Hoffnung, ihn durch Demutsbezeugung gnädig zu stimmen. Doch dem ist nicht so. Wer den Norburger Firuntempel aufsucht, findet ein zwar großes, doch bis auf einen Altar aus schneeweißem Granit zur Gänze leeres Gotteshaus vor, in dem er in aller Regel der einzige Gast sein wird. Die sonst üblichen Jagdtrophäen an den Wänden fehlen, durch die zahlreichen Maueröffnungen, die im Sommer mit Firuns-bärenfell verstopft werden, pfeift in den Wintermonden ein eisiger Wind hindurch. Die Schalen zu Fuße des Altares bergen dicke, grünlich schillernde Eisklumpen, und auf den Reliefs, die die Wände zieren, findet man nicht etwa Jagdszenen, sondern Eiszapfen, Ifirnssterne und Harschschollen dargestellt.

In diesem Teil Seweriens nämlich wird Firun weniger als Herr der Jagd verehrt, sondern vor allem als Inbegriff der Kälte, der unvermeidbaren, als unbestechlicher Prüfer, dessen Härte Jahr für Jahr das Schwache vom Gesunden trennt. Das Waidwerk selbst liegt hier in den Händen des Adels, und wie schon der Name des hiesigen Rondra-ordens zeigt, ist die hochherrschaftliche Jagd eher der Göttin des Krieges als Firun geweiht. Wer einmal bei einem Bronnjaren zu Gast war und eine Wolfshatz erlebtc, kann diese Einstellung gewißlich besser verstehen wer einmal in den Reihen der Berittenen Aufstellung bezog und den Atemzug der Stille kennt, wenn das Jagdhorn verstummi und die Hatz eröffnet ist, die Bronnsojs bebend vor Aufregung verharren und die Rösser mit schäumenden Mäulern darauf warten, daß man ihnen die Zügel freigibt, wenn Mensch und Tier die gleiche grimmige Freude zu erfüllen scheint, die man sonst nur vom Schlachtfeld kennt, als Rondras Geschenk an den Tapferen, der ohne Gedanken ans eigene Wohl, der Göttin zu Ehre, ins Gemetzel zieht.

Nein, nicht die Hatz ist Firun geweiht, sagen die Norburger, sondern das schiere Überleben in der Härte des sewerischen Winters. Wer Firun huldigen will, der setzt sich seiner Prüfung aus, der zieht hinaus in Eis und Schnee, scheut nicht Frost noch Hunger. Der soll sich von rohem Fleisch nähren und leicht bekleidet durch den Schneesturm wandeln, und wenn er auf ein Rudel Wölfe trifft, das ein gerissenes Karen untereinander aufteilt, so soll er seine Waffen ablegen und zu ihnen hinrennen, um sie zu verscheuchen. Flichen die Wölfe, so weiß er sich Firuns Segen sicher und darf sich an ihrer Beute gütlich tun; fliehen sie nicht, dann hat der Herr ein gerechtes Urteil gesprochen. Der Gottgefällige sei darauf bedacht, nur die schwächsten, verkrüppelten Tiere zu erlegen, und die anderenorts übliche Trophäenjagd zu Firuns Ehren ist hierzulande gänzlich unbekanut.

Auch sonst ist das Verhältnis des Norburgers zu Firun von Fatalismus geprägt, einem Charakterzug, dessen Überwiegen auf Einflüsse der nivesischen Mentalität hindeutet: Die Verehrung, die man dem Wintergott entgegenbringt, will eher als Huldigung an das Unausweichliche verstanden werden denn als Versuch, das Schicksal zu beschwören. Warum sollte es Erfolg versprechen, in Zeiten der Not Firun um Jagdglück zu bitten, ihn, dem jede Milde fremd ist? Mag sein, daß der gougefällige Jagdzug mit Erfolg belohnt wird – doch darum zu bitten, ergibt wenig Sinn. Aber auch die Anrufung Ifirns, Firuns sanftmütiger Tochter und Bittstellerin für die Nöte der Sterblichen, liegt dem Norburger ferner, als man meinen möchte. Bevor er sich an Ifirn wendet, sucht er sein Heil im stummen, klaglosen Erdulden aller Unbilden, die der alljährliche Frost mit sich bringen mag, und räumt dem Wintergott ergeben jedes Opfer ein, das er sich erwählt hat.

Erwähnenswerte Gebäude sind noch der Perainetempel (14) im Süden der Stadt sowie die Gasthäuser und Schänken Albin Hollerow (15) im Nordosten, Am Badehaus (16) am Festumer Tor, Schwamm und Seife (17) im Süden, die zweifelhafte Spelunke Ogerfaust (18) im Südosten und die Herberge Zum Karen (19) im Osten der Stadt.

Orden der Jagd zu Ask

Gestiftet durch Graf Wahnfried von Ask am 1. Firun 1010 BF, ist dies ein Ritterorden in drei Klassen. Was seine Struktur angeht, hebt er sich stark von den im sonstigen Sewerien üblichen Ordenshäusern ab: Während viele der anderen Stifte von den örtlichen Bronnjarenfamilien ins Leben gerufen wurde, um das Einkommen verarmter Seitenzweige zu1 sichern, und sich damit selbstverständlich fest in adliger Hand befinden, steht der Eintritt in den Orden der Jagd zu Ask auch Nichtadligen offen. Nur seine oberste Klasse, die der sogenannten Großjäger, die maximal 10 Mitglieder umfaßt, ist dem Adelsstand vorbehalten. In die anderen beiden, die der Jagdmarschalle (max. 15 Mitglieder) und der Jagdritter (25 Mitglieder) können alle Krieger aufgenommen werden, die die Schulungen einer entsprechenden Akademie durchlaufen und den Kriegerbrief erhalten haben oder die Empfehlung eines Fechtmeisters vorweisen können. Neben den normalen’ Mitgliedern besitzt der Orden noch einen arkanen und einen klerikalen Zirkel. In beiden können je 10 Jagdmarschalle und 15 -ritter aufgenommen werden. Die hauptsächliche Aufgabe des Ordens ist es, verdiente Streiter wider Trachen, Linthgewürm, geführlich Ungeheuer und widernatürlich Kreathurae zu ehren. Selbstverständlich steht es dem Orden auch an, Maßnahmen gegen Bedrohungen durch die oben genannten Gefahren einzuleiten oder Aktionen zu unterstützen, sei es durch die Entsendung von Ordenskriegern, Kriegsknechten und Wehrmaterial, sei es durch pekuniäre Zuwendungen.

Ask

Unter dem Ranzenbanner und dem Wahlspruch ihrer Familie Detareodem aterniate, was heißt "Stets wehrhaft", wußten die Bronnjaren von Ask im hohen Nordwesten Seweriens seit jeher, ihre Macht und ihre Gebietsansprüche auszuweiten und sich als mustergültige Sammler bornischer Erde auszuzeichnen. So ist es nicht verwunderlich, daß der heutige Graf von seiner Burg aus über gewaltige Ländereien herrscht und sein Leben in einem Reichtum und Luxus führen kann, der manchen Fürstenhof armenhausgleich erscheinen läßt.
— Reisetagebuch der Rondrageweihten Kindra Jorgensen; 1017 BF

Unmittelbar hinter Norburg endet die Bornstraße, und ein Reisender findet sich plötzlich auf einem besseren Karrenpfad wieder, der sich nordwestwärts windet, dorthin, wo sich Rechter und Linker Born zu dem Strom vereinigen, der dem Bornland seinen Namen verlich. Keine zwei Meilen von der Stadtgrenze entfernt, weist ein halb vom Schnee verdecktes, armseliges Holzschild mit einem kaum mehr erkennbaren Wappen den Wandersmann oder Reiter darauf hin, daß er an dieser Stelle den Grund und Boden einer der entlegensten Besitzungen des Bornlandes betritt: Ask.

Kaum sechs Meilen trennen die Residenz des Grafen Wahnfried von Ask von der Freien Stadt. Einige armselige Katen mit windschiefen Schobern kommen in Sicht. Stehen die ersten noch vereinzelt, rükken die nachfolgenden dichter zusammen, und schließlich mündet der Fuhrwerksweg auf eine Dorfstraße, die zwischen eng aneinander gedrängten Häusern hindurchführt, welche den Eindruck erwecken, als müßten sie sich gegenseitig vor dem Umfallen schützen. Wenige Dörfler sind auf den Straßen zu sehen – die Kälte treibt sie in ihre Behausungen, so sie nicht unaufschiebbare Aufgaben im Freien zu erledigen haben. Hier und da ertönen Hacklaute, fliegen Späne, wischen sich Männer den Schweiß von der Stirn, ehe er im Haar zu Eis erstarren kann, während sie das Holz zerkleinern, das in ihren Häusern für Wärme sorgen wird. Einige Kinder, die mit rotgefrorenen Gesichtchen aus abgetragenen Pelzkapuzen lugen, beobachten Ankömmlinge von ferne her, bevor sie sich wieder winterlichem Spiel im Schnee zuwenden.

Kaum der Rede wert erschiene dieser Weiler von gut 190 Einwohnern, wäre er nicht Sitz eines der bedeutendsten Bronnjarenge-schlechter Seweriens und gleichsam Sitz des Ordens der Jagd zu Ask (siehe vorige Seite).


Язык: Deutsch | Категория: Beitrag | Дата: 22.12.24 | Просмотров: 8 | Отзывов: 0

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