Stetig ertönt das Geräusch der Hämmer aus den Schmieden, das Sägen, Hobeln und Klappern aus den anderen Werkstätten gesellt sich dazu. Am Kvillufer knien die Wäscher und singen ihre Lieder, derweil sie mit breiten Hölzern die Wäsche schlagen. Aus der Nachbarschaft mischt sich das Blöken der Schafe und Ziegen hinzu. Für mich ist das alles Musik in den Ohren, es zeigt mir, dass mein Riva lebt und sein Herz munter schlägt. Manchen mag es erschrecken, wenn vor seinen Augen ein Schwein abgestochen und nach dem Ausbluten auf einer blank gescheuerten Bank zerlegt wird. Hunde streunen umher und lecken sich das Maul nach Resten, die keine Verwendung finden. Aber ich liebe das.
—aus den Erinnerungen der Rivaner Baumeisterin Lischka Hoopheide
Gewerkehoop ist die Heimstatt der einfachen Handwerker, der Fleischhauer und Bäcker, der Schreiner und Schmiede, Böttcher, Brauer und all jener, die die Stadt mit dem Notwendigen versorgen. Die Häuser sind einfach und bescheiden, bisweilen teilen sich mehrere Familien und Gewerke eine Parzelle, leben im Vorder- und im Hinterhaus, teilen Abtritt und Hof. Steinhäuser sind hier eine Seltenheit, nur einige Handwerker, bei denen wegen der Brandgefahr ein Steinbau vorgeschrieben ist, leisten sich diesen Luxus – wie Bäcker und Schmiede. Wohnhaus und Werkstätten sind meist unter einem Dach zu finden – manche müssen nur den Laden ihres Fensters herunterklappen, um dort die Früchte ihrer Arbeit feilzubieten. Auf dem Bauernmarkt werden zweimal in der Woche frische Waren feilgeboten, und auch Tändler, die die Gebühr für den großen Markt scheuen, verkaufen hier Tand und Nützliches. Viele Handwerker verlegen ihre Arbeit gleich auf die Straße: Besenbinder und Drahtzieher hocken auf Schemeln vor ihren Häusern; mancher nutzt gerne das Tageslicht, statt sich in der dunklen Stube die Augen zu verderben.
Nicht nur Handwerker haben sich im Gewerkehoop niedergelassen, unweit der Mauern trifft man auf Bauernhöfe. Nur die Weiden und Felder befinden sich vor den Toren, denn die Behausungen der Städter drängen sich längst dicht um die Höfe. Auch die sesshaften Nivesen siedeln bevorzugt hier, ihre charakteristischen einstöckigen Holzhäuser finden sich in der Gegend rund um den Nurlabach. Die Straßen riechen übel, sind schmutzig und mit Unrat bedeckt, hier gibt es keine Rinnsteine, um Regenwasser und Abfälle in den Fluss zu spülen. Schweine, Hühner und anderes Kleinvieh bevölkern die Gassen, denn auch viele einfache Leute halten sich etwas Vieh, um den eintönigen, kargen Speisezettel an Festtagen aufzubessern. Wie die meisten Rivaner beten auch die Handwerker und selbst die Bauern zu Phex. Einmal wöchentlich trifft man sich zur Andacht in der Schenke am Nurlabach, dann kommt einer der Phex-Geweihten hierher, um mit der Gemeinde zu beten.
In jüngster Zeit drängen die Glücksritter auch nach Gewerkehoop, sie suchen sich ein Quartier in den Gassen oder in einem der Schuppen in den Hinterhöfen. Die angestammten Bewohner betrachten das mit gemischten Gefühlen. Zwar dauert manche das armselige Los der Neuankömmlinge, zum anderen weiß man, dass das eigene Leben nur härter werden kann, je mehr Habenichtse in die Stadt drängen.
Nivesen in Riva
Von den alteingesessenen Bürgern blickt ein Gutteil auf zumindest teilweise nivesische Wurzeln zurück; etwa 200 Bürger haben sogar ausschließlich nivesische Vorfahren. Die meisten in Riva lebenden Nivesen haben ihre Lebensweise derart angepasst, dass man sie kaum noch als Nivesen bezeichnen kann. Viele gehen einem traditionellen Handwerk, etwa der Schnitzerei, der Gerberei oder dem Bogenbau nach, oder arbeiten in Berufen, die früher vornehmlich von den mittelreichischen Siedlern ausgeübt wurden. So gibt es beispielsweise nivesische Wirte, Holzfäller und Hafenarbeiter.
All diesen Menschen ist gemein, dass sie sich mit der Lebensart in Riva arrangiert haben und von ihr profitieren (siehe auch Seite 165). Einige wenige, sich auf ihre traditionellen Wurzeln besinnende Nivesen – meist solche, die noch engere Kontakte zu den umherziehenden Sippen pflegen – haben damit aber enorme Probleme – ebenso wie ihre nomadischen, nur im Winter vor der Stadt lagernden Brüder und Schwestern. Ihnen bereitet die Entwicklung der Stadt große Sorgen. Sie beklagen den Raubbau im Umland und die Entfremdung der in Riva lebenden Nivesen von der eigenen Kultur. Zu Aggressionen kommt es allerdings noch selten, statt mit Vorhaltungen oder Ächtung regieren die meisten Nivesen bislang mit Unverständnis, Trauer und ziehen sich schließlich still in die Wildnis zurück.
Hochwasserschutz
Am Kvillufer hat man bereits flussaufwärts vor der Stadt Deiche und Auen angelegt, um die Wucht des Flusses nach der Schneeschmelze zu lindern. Nicht immer reichen diese Maßnahmen aus, um den Fluss zu zähmen, dann dringt das Hochwasser weit in die niedrig gelegenen Teile der Stadt und auch der Nurlabach schwillt dann zu einem gelblich-trüben Fluss, der zu einer zusätzlichen Bedrohung wird.
Badehaus Zur lustigen Jette (22)
In Jettes Badehaus findet der müde Wanderer alles, was er zur Entspannung begehrt: ein heißes Bad, deftige Kost, ein würziges Dinkelbier und fröhliche Gesellschaft. Auch auf Massagen und das Behandeln kleinerer Blessuren verstehen sich die Rivanerin und ihre vier Badeknechte und -mägde. Immer zur Mittagsstunde und zur Abendglocke heizt Jette den Badeofen ein, drei Dutzend Gäste finden spielend in den vier großen Zubern Platz. Jette ist auch bereit, einen Zuber für sich zierende Gäste exklusiv zu reservieren – wenn man es ihr angemessen entlohnt.
Nivilaunis Dampfbad (23)
Nivilaunis Badehaus ist ein Dampfbad in bester nivesischer Tradition. In der kreisrunden Holzhütte, die mit Moosen abgedichtet ist, wird mit heißen Steinen kräftig eingeheizt, wohltuende Aufgüsse aus Kräutern und anderem Pflanzenwerk machen Kopf, Brust und Seele frei und lassen den Schweiß erst richtig fließen. Leichte Schläge mit Birkenruten, um die Durchblutung zu fördern, gehören ebenso zu dem Ritual, wie Tauchbäder im eisigen Wasser des Nurlabachs. Nivilauni (Mittdreißiger, 1,88, bullig, grobknochiges breites Gesicht, schräggestellte, dunkle Augen, rotbraunes Haar, spricht leise), hat vor einigen Jahren das nivesische Badehaus von einem waschechten Nivesen übernommen. Exotik ist gut fürs Geschäft und Nivesen verstehen nun einmal mehr von Dampfbädern – und so übernahm der gebürtige Rivaner, der lediglich eine nivesische Großmutter hat und eigentlich auf den Namen Jodun hört, nicht nur das Badehaus, sondern gleich auch den Namen des Vorbesitzers. Für viele Rivaner ist es eine liebe Gewohnheit, einmal die Woche ins Schwitzbad zu gehen.
In der Schwitzhütte mischen sich die unterschiedlichsten Stände, im Wasserdampf verlieren sich die Unterschiede zwischen Arm und Reich.
Nordlicht-Haus – Tsa-Tempel (5)
Ungewöhnlicherweise für einen Tempel der ewig jungen Göttin haben Tsas Diener das Haus schwarz getüncht. Mit einem Boron-Tempel würde ihn dennoch niemand verwechseln, denn das freudvolle Wesen der Göttin zeigt sich in phantasievollen, lichtbunten und glitzernden Abbildungen des Nordlichtes, mit denen die Außenwände bemalt sind. Die beiden Geweihten Kvalmir Flinkzunge (geb. 981 BF, junggeblieben, red- und vertrauensselig, harmoniesüchtig, neugierig) und Lumin Kirschgärtner (geb. 1006 BF, Genießer, Schmerbauch, kontaktfreudig, schlechtes Gedächtnis) finden ihre Erfüllung darin, ständig neue Bildnisse anzubringen.
Der Gebetsraum ist keine Halle, sondern vielmehr ein offener Innenhof, der wie der ihn umgebende überdachte Wandelgang in hellen Farben gehalten ist. Täuschend echt wirkende Bilder von einem sonnendurchfluteten Garten mit blühenden Kirschbäumen vermitteln den Eindruck, dass man inmitten eines lichten Hains steht. Auch dies ist das sich ständig wandelnde Werk der beiden Geweihten. Im Zentrum des Hofes befindet sich ein Steingärtchen mit einem Springbrunnen, der zwei sich sonnende Eidechsen zeigt. Im Winter ist der Tempel allerdings kein einladender Ort, und man muss schon von Tsa beseelt sein, um es dort auszuhalten. Deswegen träumen die beiden Geweihten davon, dass die Göttin es eines Tages fügen wird, den Hof durch ein gläsernes Dach zu krönen.
Sowohl Kvalmir als auch Lumin sind häufig unterwegs. Neben ihren Aufgaben als Geburtshelfer nehmen sie sich insbesondere der Neuankömmlinge an und unterstützen sie nach Kräften. Die beiden Geweihten sind in der Stadt beliebt, haben aber nur geringen Einfluss.
Doch Kvalmir gelingt es bisweilen, seine Beliebtheit dazu zu nutzen, um im Sinne eines seiner Schützlinge bei einem der Mächtigen zu intervenieren.
Es heißt, im Gebälk des Tempels hause ein alter, mürrischer Klabautermann, den einer der Tsa-Geweihten von einem sinkenden Schiff gerettet habe. Sicher ist, dass es im Nordlicht-Haus nicht mir rechten Dingen zugeht: Gegenstände verschwinden, oder tauchen jäh auf und manchem Besuchern widerfährt ein Missgeschick.
Karis Wäscherei und Schlachterei (24)
Der Nivese Kari Kaukinen betreibt eine Wäscherei inmitten des Nivesenviertels im Gewerkehoop und hat diese inzwischen um eine Näherei und Schlachterei erweitert. Er beschäftigt ausschließlich Nivesen, die ihre Sippen verlassen haben, um ihr Glück in der Stadt zu versuchen. In mehreren ineinander verschachtelten Holzhütten unterhält er auch eine Schlachterei. Karis Schweine erregen Aufsehen, denn die buntgescheckten Sauen sind erheblich größer und schwerer als die hier üblichen Wollschweine und selbst für Hausschweine wahre Riesen. Allerdings gelten sie auch als bissig und angriffslustig, und jedes Rivaner Kind weiß, dass man besser keinen Finger ins Schweinegatter steckt.
Außerdem bekommt man bei Kari Karenfleisch (frisch, gedörrt und geräuchert) und wohlschmeckende Karenwurst. Man munkelt, dass Kari außerdem seine Hände im Spiel hat, wenn wieder einmal nivesische Prostituierte Bei Swangard auftauchen.
Gasthaus Bei Swangard (Q 5, P 6) (25)
Vor Swangard nimm dich in Acht. Ich habe es selbst mit angesehen, kurz nachdem sie in die Stadt gekommen war. So’n Kerl wollte sie betatschen, ist ja auch ein properes Mädchen, wenn du weißt, was ich meine. Und sie dreht sich um, lächelt ihm süß ins Gesicht, packt ihm in den Schritt, dass der Kerl sich Rahjas Bettchen nahe fühlt. Der Kerl schließt die Augen und da zückt sie ein Messer und schneidet ihm ohne zu zögern die Kehle von einem Ohr zum anderen durch.
—Gast im Neue Zeit zu einem anderen, zeitgenössisch
Vor sechs Jahren eröffnete Swangard Hildursdottir (siehe Seite 168) ihr Gasthaus in einem großen zweigeschossigen Holzhaus, das schon bessere Tage gesehen hat. Im Erdgeschoss liegt der Gastraum mit langer Theke und einigen runden Tischen, wo überwiegend Karten gespielt wird. Die Wirtin gilt als überlegene Boltan-Spielerin, sie setzt sich aber nur selten zu den Gästen. Wenn sie sich nicht in ihren Privaträumen im Obergeschoss aufhält, steht sie an der Theke und überwacht das Geschäft.
Anders als in anderen Bordellen, sorgt Swangard dafür, dass ihre Jungs und Mädels ‘sauber bleiben’. Ein Heiler schaut regelmäßig danach, ob sie gesund sind. Zwar würde es Swangard weit von sich weisen, dass sie das auch aus Sorge um ihre Bediensteten tut. Aber das Bordells genießt dadurch einen guten Ruf, und ist eine “rechte Silbermine”, wie andere neidvoll munkeln. Swangard macht keinen Hehl daraus, dass sie sich selbst häufig mit einem ihrer Männer oder Frauen vergnügt, was ebenfalls dem Vertrauen der Kundschaft in die angebotene Qualität zuträglich ist.
Die Wirtin hat eine verschworene Gemeinschaft um sich geschart, die überwiegend zusammen mit ihr 1026 BF in Riva auftauchte. Es ist unter den Gästen wohlbekannt, dass man sich mit ihren Vertrauten besser nicht anlegt (siehe auch Seite 171. Denn Swangards Angestellte sind ihr treu ergeben: Der Weidener Odalbert fungiert als Rausschmeißer und Mann fürs Grobe. Im Ringen und Faustkampf sucht er Seinesgleichen. Der Almadani Ricado hat mehrfach unter Beweis gestellt, dass er mit Messer und Wurfdolchen exzellent umzugehen weiß. Demgegenüber wirkt die Frau hinter der Theke, Yula (ca. 30, dünnes blondes Haar, schiefmäulig, nachdem ein übler Bursche ihr als Kind den Kiefer gebrochen hat, spricht undeutlich und zieht das rechte Bein nach), die Mädchen für alles ist, etwas dümmlich und muss oft für allerlei derbe Späße und Vorhaltungen Swangards und der anderen Bediensteten herhalten, was ihrer Loyalität allerdings keinen Abbruch tut. Und es sollte nur kein Gast auf die Idee kommen, selbst einen derben Scherz auf Yulas Kosten zu machen, denn da verstehen Swangard und ihre Leute keinen Spaß.