Wenn das Schiff in majestätischer Ruhe durch die Hafeneinfahrt von Riva gleitet, wenn sich zur Linken die trutzige Burg mit ihren wuchtigen Türmen erhebt, und der Blick zur Rechten auf die adretten, kleinen Häuser fällt, deren Ziegeldächer in der untergehenden Sonne glühen, wundert es nicht, dass die meisten Reisenden den Eindruck haben, nach der rauen Fahrt über das Nordmeer einen Hort des Friedens erreicht zu haben. Hinter festen Mauern wohlbehütet gehen die Bürger ihren alltäglichen Geschäften nach, fleißige Handwerker und geschäftstüchtige Kaufleute prägen das Bild.
—Phexfried Garether, Kaufmann aus Meilersgrund
In Aelderfried, dem ältesten Viertel der Stadt mit dem Aelderhaven, wo die reichsten Bürger ihr Domizil haben, im Krämerfried, dem merkantilen Herzen Rivas, und Teilen des Neuehavens zeigt sich die Glanzzeit des alten Riva am deutlichsten. Die Kaufmannssiedlung am Kvill präsentiert sich in gediegenem Bürgerstolz: spitzgieblige Häuser mit aufwändig beschnitztem Fachwerk oder holzverkleideten Fassaden flankieren die Gassen, gleich neben den rotziegligen Stufengiebelhäusern der Patrizier.
Bescheidener geht es im Gewerkehoop zu, wo viele einfache Handwerker Haus und Werkstatt haben. Aber auch diese Bürger dürfen sich rühmen, auf dem “Goden Ufer”, wie man das rechtsseitige Ufer des Kvills nennt, zu leben.
Erst ein zweiter Blick abseits der Altstadt auf das andere Ufer offenbart die Schattenseiten des heutigen Riva: den Überlebenskampf unter den Armen der Stadt, das Elend in den Siedlungen der Flüchtlinge und der Glücksritter vor den Toren. In einfachen Buden hausen viele, für manche bleibt nicht mehr, als ein einfacher Verschlag in einem der Mauerbögen oder eine Kammer unter einer Treppe. Ursprünglich war die Undere Wyk, ein von Überschwemmungen stetig bedrohtes Viertel auf dem linken, “Nederen Ufer” der Ort, an dem sich vornehmlich jene Handwerker niedergelassen haben, deren Gewerbe mit Dreck, Lärm und Gestank verbunden ist. Doch in den letzten Jahren hat sich hier viel ‘Gesindel’ angesiedelt. Nicht alle sind unredliche Leute, viele kamen als bettelarme Flüchtlinge in die Stadt und mühten sich eifrig, ein neues Auskommen zu finden. Jenen, die scheiterten, blieb jedoch allzu häufig nur der Weg in ein unehrliches Gewerbe. Deshalb gilt Undere Wyk als Viertel, das man als wohlhabender Mensch am besten nicht oder nur mit Bedeckung aufsuchen sollte. Schlägereien und Händel sind an der Tagesordnung, der harte Überlebenskampf treibt viele zu Alkohol und Prostitution – was die Lage nicht eben besser macht.
Ein besonderes Problem stellen die seit kurzem zu Hunderten über die Stadt hereinbrechenden Glücksritter dar, angelockt durch Phexens Sternenregen und die Schatzfunde im Riedemoor. Viele kommen hoffnungsfroh, aber mittellos. Sie haben Hab und Gut verkauft, um sich die Fahrt in den Norden und die ersten Wochen vor Ort finanzieren zu können. Bleiben die erhofften Funde aus, ist schnell bittere Not ein steter Gast, und mit ihr Unzufriedenheit, Verzweiflung und Verbrechen. Je stärker die Not um sich greift, je mehr Unglückliche die Stadt bevölkern, desto schwieriger wird es für die alteingesessenen Bürger, ihre Refugien des Friedens vor Störungen zu bewahren. Die Bewohner von Gewerkehoop und Neuehaven bekommen das bereits deutlich zu spüren. Einen ungewöhnlichen Kontrast zum städtisch geprägten Leben Rivas bilden die Bauernhöfe in Undere Wyk und Gewerkehoop, die sich mit ihren Ställen, Scheuen und Gärten am Rande der Viertel, nahe bei der Mauer finden. Als man den Bau der Stadtmauer anging, war die Stadt reich. Man konnte es sich leisten, den Mauerring so großzügig zu gestalten, dass er die dörflichen Flecken und viel unbebautes Land mit einschloss. Und in der Tat wuchs Riva in seiner Blütezeit so schnell, dass es über die umliegenden Höfe hinweggewachsen ist und diese Bestandteile städtischen Lebens sind.
Vor den Toren, insbesondere rings um den nördlichen Teil Rivas und im Süden, finden sich weitere Höfe, die einen entscheidenden Anteil an der Versorgung der Stadt haben. Zudem haben sich hier viele Neubürger niedergelassen.
Rund um den Markplatz, in Neuehaven und Aelderfried sind die meisten Gassen mit buckligem Kopfsteinpflaster bedeckt. Doch in den einfacheren Vierteln ist man wohl beraten, sich Trippen, hölzerne Überschuhe, unter das wertvolle Schuhwerk zu schnallen, damit dies durch Schlamm und Unrat nicht verdorben wird. Insbesondere am Jahresende und den regnerischen Monaten im Herbst, sind viele Gassen so morastig, dass man froh sein kann, wenn Planken ausgelegt worden sind.