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Warenschau

Hei, Tinischa, du ahnst es nicht. Ich habe doch wahrhaftig auf der Messe einen Kaufmann gefunden, der ein Bündelchen von dieser seltenen Rinde feilbot. Weißt du, was das bedeutet? Wir werden das Fieber deiner Mutter besiegen können, so wie der gelehrte Meister in der Akademie es versprochen hat. Lass uns Mütterchen Peraine danken, dass ihr der bittere Tod erspart bleibt, der deine beiden Brüder und die kleine Ninita dahingerafft hat.

—Rivaner Handwerker zu seiner kleinen Tochter, 988 BF


Phexverflucht, wenn ich diese Gören erwische. Einen Hühnerkäfig haben sie aufgemacht, und die Viecher sind geradewegs in die Koppel einer Pferdehändlerin geflattert. Haben die Böcke scheu gemacht, drei haben sich losgerissen und sind – hastunichtgesehen – mittenmang durch das Gewühl geprescht. Um ein Haar hätte eins den kleinen Rastburger über den Haufen gerannt, stattdessen hat es ein Weiblein erwischt, die Küchlein feilbot. Die arme Alte. Ich glaube nicht, dass die wieder auf die Beine kommt. Na ja, dennoch besser, als wenn dem Rastburger ein Härchen gekrümmt worden wäre. Dann hätten wir bluten müssen.

—zur Marktwache abkommandierter Stadtgardist zu einem Kollegen, zeitgenössisch


Einmal im Jahr, Ende Ingerimm, herrscht in Riva Ausnahmezustand: Dann nämlich ist die Zeit der Warenschau gekommen, der bedeutendsten Messe im Norden des Kontinentes. Von nah und fern strömen Kaufleute und Schaulustige herbei – die, die das Besondere suchen, und die, die es feilbieten.

Dann drängen sich im Hafen die Schiffe dicht an dicht. Aber auch auf Karren und Kutschen, zu Fuß und mit Saumtieren drängt es die Menschen in die Stadt. Für Tagelöhner ist die Warenschau der höchste Feiertag, kaum kommen sie zur Ruhe, wenn es heißt, Waren ab- und aufzuladen, umzuschichten und an den gewünschten Ort zu transportieren.

Jeder Platz, jede Gasse, jede Laube wird für Verkaufsstände genutzt, die Markthalle quillt über. Die begehrtesten Standplätze sind seit Generationen verpachtet. Für den Preis, den Stand der Stoerrebrandts in der Markthalle zu übernehmen, könnte man ebenso gut ein kleines Haus erstehen.

Auf den Wiesen vor der Stadt erhebt sich eine Zeltstadt, wo weitere Händler ihre Ware verkaufen, wo fahrende Handwerker ihre Dienste anbieten, und wo Gaukler, Wanderbühnen und andere Fahrende ihre Kunststücke zeigen. Wirte und Garküchen wetteifern um die Gunst der Gäste, verlockende Düfte lassen einem das Wasser im Munde zusammenlaufen. Aus dem Rupert-Knorre-Brunnen fließt Freibier, selbst wenn es sich nur um das heimische Dinkeldünnbier handelt. Ein Immanturnier sorgt für zusätzliche Kurzweil und lockt selbst noch die an, die dem phexischen Treiben abhold sind. Und auch für zwielichtiges Gesindel, für Bettler, Beutelschneider, Rosstäuscher und Fälscher stellt die große Messe in Riva einen Anziehungspunkt dar.

Zu kaufen gibt es nahezu alles, was das Herz begehrt, vom zierlichen Fingerhut aus Perlmutt bis zum wuchtigen Kassettenschrank aus Moorholz, vom exotischen Räucherwerk bis zu heimischem Schafschinken, von Premer Feuer bis Bosparanjer. Nivesisches Wildleder findet begeisterte Abnehmer, ebenso wie die kunstvollen Knochenschnitzereien, Einlegearbeiten aus Perlmutt oder elfische Waren.

Neben der Zeltstadt ist ein Areal den Viehhändlern vorbehalten. Zwischen den Gattern und Ständen herrschen ohrenbetäubender Lärm und infernalischer Gestank.

Die unvermeidlichen Streitereien halten die Marktwache auf Trab. Sie muss prüfen, ob es sich wirklich um Betrug handelt, muss schlichten, abwiegeln und nötigenfalls auch einmal einen Unbelehrbaren in den Kerker sperren, bis sich die Gemüter wieder beruhigt haben.


Язык: Deutsch | Категория: Beitrag | Дата: 17.05.24 | Просмотров: 112 | Отзывов: 0

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