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Undere Wyk

Zu Dutzenden liegen sie in den Straßen, elend und zerlumpt, die Augen hohl, die Gesichter verhärmt vom Hunger. Viele plagen Husten und schlimme Ausschläge. Ihr karges Brot verdienen sie sich als Tagelöhner, häufig genug aber bleiben ihre Mägen leer. Auch viele Kinder sind darunter, die Stärksten versuchen sich durchzuschlagen, mit einfachen Arbeiten oder Bettelei, allzu oft aber auch durch unrechtes Tun. Es gibt Menschen, die sich die Not dieser armen Seelen zunutze machen, sie um immer kärglicheren Lohn schuften lassen oder sie dazu zwingen, gefährliche oder widerwärtige Arbeit zu tun. Möge die heilige Mutter sie strafen!

—Brief des Rivaner Travia-Geweihten Heimbrecht Siebentreu an den Muttertempel, zeitgenössisch


Handwerker, deren Gewerke die Bürger nur ungern in ihrer Nachbarschaft dulden wollen, da sie mit Lärm daher kommen oder Dreck und Gestank verursachen, hat man in Rivas besseren Tagen auf die andere, die ‘schlechte’ Kvillseite gedrängt. Gerber, Teer-, Pech- sowie Salzsieder, Färber, Walker und Filzer, sie alle haben sich in Underen Wyk niedergelassen. Selbst die Seiler gehen ihrem Gewerbe nicht mehr im Neuehaven nach, seitdem ein Kaufmann ihnen gutes Geld für ihr Gelände angeboten hat.

Das Viertel wurde ganz selbstverständlich einer der ersten Anlaufpunkte für Flüchtlinge und Glücksritter. Man begegnet den Neuankömmlingen mittlerweile mit wachsendem Argwohn, ja Feindseligkeit. Das liegt nicht zuletzt daran, dass einige der Glücksritter sich wie die Orks aufführen: saufen, lärmen, stehlen, und brave Bürger belästigen. Tag für Tag kommt es zu Handgreiflichkeiten, und es gilt das Recht des Stärkeren. Die wachsende Zahl der Verarmten und Elenden, die buchstäblich auf der Straße liegen, wird zur zusätzlichen Belastung. Etliche Glücksritter sind mit Kind und Kegel in die Stadt gekommen, und können doch kaum ihr eigenes Maul stopfen. Diese armen Seelen haben häufig kein Dach über dem Kopf; das wenige, was ihnen gehört, tragen sie am Leib. Raub und Totschlag sind unter diesen armen Seelen, keine Seltenheit, wenn nicht Kälte und Krankheit oder die harte Arbeit sie ohnedies dahinraffen.

Um den Travia-Tempel liegen die Werkstätten alteingesessener Handwerker und eine solide Taverne, in der Meister und Gesellen nach einem Tag harter Arbeit den Feierabend einläuten. Die anfangs dicht stehenden Häuser rücken auseinander, je näher man der Stadtmauer kommt. Höfe folgen der vormals dichten Bebauung, überall läuft Kleinvieh frei herum und prägt das Straßenbild.

Diese Strukturen setzen sich jenseits der Stadtmauern fort und es ist zuweilen ein arger Kampf, die Bauern davon abzuhalten, den soliden Verteidigungswall als willkommene Wand eines Stalls oder eines Wohnhauses zu nutzen.

In den Gassen rings um den Firun-Tempel finden vor allem Jäger, Torfstecher und Holzfäller alles, was sie für ihr Tagwerk benötigen. Der Norden gehört den ‘stinkenden Gewerken’. Gerber und Färber haben ein wildes Gewirr aus Gräben und kleinen Kanälen angelegt, die untereinander zum Teil verbunden sind. Mit Schiebern entleeren und fluten sie die für ihre Arbeit so wichtigen Gruben und Becken und so mancher Reisende wurde bei der Hafeneinfahrt von beunruhigenden grellroten oder tintenschwarzen Schlieren begrüßt, wenn die Flut die Abwässer mit sich nahm. Beinahe jede der unbefestigten Straßen wird von Gräben flankiert, die, wenn überhaupt, über wackelige Holzstege gequert werden können. Entlang der Mauer läuft die sogenannte Seilergasse, die lang und gerade genug ist, damit die Seiler dort ihre Seile drehen und spannen können.

Bei Hochwasser wird Undere Wyk regelmäßig überflutet, denn anders als am Hafen schützen hier weder Felsplateau noch Dämme vor den Fluten des Meeres. Das Frühjahrshochwasser reißt immer wieder ganze Häuser mit sich und mancher Hausbesitzer errichtet sein neues Heim hoffnungsvoll auf massiven Pfosten. Ob des trügerischen Untergrundes ist dies jedoch keine Garantie für festen Stand.

Rattenfängerin (26)

In einem Häuschen, das eingeklemmt zwischen zwei Gräben steht, befindet sich das Heim der erfolgreichsten Rattenfängerin der Stadt: Tolsa Fernel. Die dürre Enddreißigerin (mausgraue Haare, hager, hervorstehende, wasserblaue Augen, unreine Haut) beschäftigt ein Bande Kinder, meist Waisen, die in ihrem Auftrag Ratten jagen. In benachbarten Hütten und Verschlägen sind die ‘Rattenkinder’ mehr schlecht als recht untergebracht. Der Lohn ist karg, meist nur eine Suppe und Brot und das Dach über dem Kopf. Das Gerücht, je fetter die Ratten, desto nahrhafter Tolsas Eintopf, will im Viertel nicht verstummen. Die Rattenfängerin selbst scheint nicht schlecht von dem Lohn zu leben, den der Rat ihr für jeden toten Nager zahlt. Von soviel Luxus, wie sie sich gönnt, einem lodernden Feuer und einem Bett mit warmem Federbett, können ihre Kinder nur träumen.

Manche Nachbarn munkeln, das Weib stünde mit dem Namenlosen im Bunde. Wie sonst kann es auch sein, bei jemandem, der tagaus, tagein mit Ratten zu tun hat.

Kvillbrücke (27)

Die 870 BF aus Stein errichtete Brücke kann als Sinnbild für den Niedergang Rivas gelten. Die harten Winter, der starke Eisgang zur Schneeschmelze, die großen Temperaturschwankungen haben dem Bauwerk in den letzten Jahren stark zugesetzt. Im Jahr 1032 BF traten die Schäden in Form eines abgesenkten Pfeilers und eines teilweise abgestürzten Geländers so nachdrücklich in Erscheinung, dass der Stadtrat sich gezwungen sah, zu handeln. Nunmehr ist die Brücke nur noch einseitig passierbar. Nach zahlreichen Unfällen wurde schnell klar, dass sich die Rivaner mit dieser Beschränkung nicht arrangieren mochten, weshalb zwei Brückenwächter angeworben wurden. Drala Leisten und Quin Daske, erfahrene Seebären, die ihren Lebensabend in Riva verbringen, wachen mit der Pedanterie in Ehren ergrauter Menschen über ‘ihre’ Brücke. Nach eigenem Gutdünken, geben sie die Passage für eine der beiden Richtungen frei, kassieren den Brückenzoll (1 Kreuzer je Bein, 1 Heller je Rad, Rivaner frei) und scheinen es in ihrem Bemühen keinem recht machen zu können. Und so vergeht kaum ein Tag ohne laute, manchmal sogar handgreifliche Streitereien an der Kvillbrücke.

Schenke Fuchsfell (28) (Q3/P2)

Die Schenke ist Anlaufstation des zwielichtigen Gesindels. Geschäfte, die besser im Schatten bleiben, werden in den beiden niedrigen und rauchgeschwängerten Schankräumen abgewickelt. Einzelne Nischen mit Tischen und Bänken sichern eine gewisse Intimität, die stets schummrige Beleuchtung verbirgt unschöne Details. Von seiner Theke aus, die beide Räume miteinander verbindet, beobachtet der Wirt Farfex Plotz das Treiben. Wenig entgeht dem Rivaner und für eine angemessene Entlohnung ist er hin und wieder sogar bereit, sein profundes Wissen zu teilen, wo man ein begehrtes Gut oder eine spezielle Dienstleistung bekommen kann. Der Wirt versucht sich zudem als Hehler und kennt wenig Skrupel, womit er handelt.

Yalsicors Heimstatt – Travia-Tempel (7)

Direkt am Ufer befindet sich das Haus der Göttin Travia (4 Geweihte, 3 Gänslein). Der große Tempel und das angegliederte Nebengebäude sind von hohen Espen umgeben. Gemäß dem erwählten Schutzpatron herrscht im Tempel der hoffnungsfrohe Geist, dass jeder, der die Halle betritt, auch als Freund wieder hierher zurückkehren wird. Vater Gansbart (Endsechziger, Vollbart, langes wallendes graues Haar, Vertreter leiser Töne, melancholisch) steht dem Tempel auch nach dem Tod seiner geliebten Gemahlin Asluna unverdrossen vor. Als großer Freund der Thorwaler und angesichts der Ferne des Haupttempels in Rommilys predigt Gansbart vor allem das Bild von Travia als Muttergottheit, die die Familie inmitten der unwirtlichen Natur schützt. Die Bedeutung der ehelichen Treue steht hinter diesen Aspekten zurück. Dies sehr zum Unwillen des jungen Ehepaars Edburga (Endzwanzigerin, blonder Dutt, hübsch, sittenstreng, humorlos) und Heimbrecht Siebentreu (Mittdreißiger, groß und breit, passionierter Koch, gefühlsbetont, sittenstreng), denen der Verfall der Sitten in Riva und die zunehmende Anzahl von Hübschlern ein Dorn im Auge sind. Noch kümmern sich die Siebentreus jedoch vornehmlich um die Alltagsgeschäfte des Tempels, derweil der hochwürdige Vater der unangefochtene Patriarch der Halle ist. Milde, dafür aber zupackend ist Giselwolf Weidener (Anfang 40, graues kurzes Haar und Vollbart, sanftes Wesen), der sich aufopferungsvoll um die Ärmsten Rivas kümmert. Er weilt nur selten im Tempel und zieht es vor, unter seinen Schützlingen – die ihn für seine Hingabe sehr verehren – in einer ärmlichen Kate zu leben. Giselwolfs Einsatz ist nur scheinbar selbstlos, denn ihm schmeichelt die Ehrerbietung, die er erfährt und er richtet seinen Einsatz durchaus danach aus.

Isgrâsal – Firun-Tempel (6)

Am Südufer des Kvill erhebt sich – umgeben von sieben uralten Firunsföhren – Isgrâsal (“eisgrauer Saal”; 2 Geweihte, 2 Novizen). Erbaut aus dem widerstandsfähigen Holz der heimischen Lärche, zieren kunstvolle Schnitzereien und Halbreliefs die Fassade bis hinauf zum Spitzgiebel. Grimmige Bären, zähnefletschende Wölfe und fauchende Schwäne schmücken vor allem die Nordseite des Gebäudes und signalisieren die ungebrochene Kampfbereitschaft der Firun-Kirche.

Der Andachtsraum strahlt hell wie frischer Schnee. Vom weißgebeizten Föhrenholz bis zu den sorgsam gestrichenen Holzsäulen und Vertäfelungen, alles ist weiß, selbst der schlichte Altarblock aus dem Stamm einer Firunsföhre. Die Tempelvorsteherin Frisia Murwaller (Mittfünfzigerin, klein, drahtig, üppiger Haarwuchs, leutselig) sieht es als ihre heilige Pflicht an, den Rivanern, ja der ganzen Gemeinschaft Firun-Gläubiger, mit dem Ausbau des Tempels Mut zu machen und gleichermaßen zu demonstrieren, dass die Macht des Wintergottes ungebrochen ist.

In der Halle finden sich als Opfergaben und Ritualgegenstände seltene Pelze, beschnitzte Bögen aus Bein und Holz und sogar einer, der aus dem Stachel eines Eisigels sein soll, von dem es heißt, dass nur ein Auserwählter Firuns ihn spannen kann, kunstvolle Köcher die imposanten Hauer eines zwei Schritt großen Wildebers sowie Stoßzähne von Seetigern und dergleichen mehr. Herzstück ist eine archaische Firunstatue – Darstellung eines Mischwesens aus Mensch und Eisbär aus mattschimmerndem weißem Stein, die in grimmer Andacht auf die Gläubigen niederblickt.

Derweil Frisia ihren Daseinszweck in der Stadt gefunden hat, zieht der junge Geweihte Irum Sturmwehe (Endzwanziger, halblanges blondes Haar, braune Augen, grimmig und schweigsam, Raubtiergeruch) die Gesellschaft der Jäger und Waldläufer vor, die Riva als Ausgangs- oder Endpunkt ihrer Streifzüge wählen. Irum findet wenig Gefallen an den Neusiedlern, die in seinen Augen zu wenig Achtung vor Firun und der göttlichen Schöpfung zeigen. Frisia hingegen verurteilt die schurkischen Methoden, mit denen einige alteingesessene Jäger und Pelzhändler ihre Pfründe verteidigen.

Tevil Askjasson, ein Firun-Geweihter aus Thorwal, zog der Kampf gegen Glorania vor einigen Jahren nach Riva. Der hagere Hüne folgt strikt der thorwalschen Auslegung des Firunglaubens, wonach der Gott für den Überlebenskampf in unwirtlicher Wildnis steht. Tevil (ca. 30, fahlblonde lange Haare und Bart, gleichgültig in sich ruhend, stark tätowiert) wirft den alteingesessenen Geweihten vor, den Kampf gegen das Eisreich zu vernachlässigen und sorgt so für weiteres Konfliktpotenzial. Außerdem macht eine junge Ifirn-Geweihte namens Tolsa regelmäßig in Riva Station.

In Ermangelung eines Boron-Tempels – der Glaube an den Raben ist im hohen Norden wenig verbreitet – werden Bestattungen für gewöhnlich durch die Firun-Geweihten vorgenommen, sofern keine Seebestattung unter dem Segen Efferds gewünscht wird (siehe auch Seite 171). In einer alten Stadtverordnung heißt es dazu: »Und wenn eyner sterbet, so traget die Leych zu den Geweyheten des Firun, weyl sie zum trauerigen Anlazs das rechte Gesicht zeygen.«

Bordell und Spielhaus Neue Zeit (Q6, P7) (29)

Vor zwei Jahren kaufte Ludovico Heusinger (siehe Seite 169) das zweistöckige Holzgebäude (mit Galerie im Obergeschoss) renovierte es aufwändig und eröffnete darin einen Spielsalon mit Bordell.

Insbesondere Glücksspiele sind der große Renner. Das Ambiente ist so luxuriös, wie man es sich als bodenständiger Rivaner im Lieblichen Feld vorstellt, doch ist hier nahezu alles mehr Schein als Sein. Nach dem Spiel kann man sich im Bordell im Obergeschoss entspannen. Obschon äußerlich auf Niveau und hohe Qualität geachtet wird, kommt hier jeder Glückssucher in seiner zerlumpten Kleidung herein, sofern er nur bezahlen kann. Gefundene Schätze tauscht Ludovico gegen Gold – und versteht es sogleich, dem Glücklichen sein Geld am Spieltisch wieder aus der Tasche zu ziehen. Im Neue Zeit werden vor allem die Würfel gerollt; am beliebtesten ist das exotische Würfelspiel Pyramide. Auch Wetten kann man hier auf fast alles abschließen. Viele Glücksritter lassen hier gerne ihr Geld, denn wenn hier falsch gespielt wird, dann so geschickt, dass kaum jemand das bemerkt. Das Neue Zeit steht im Ruf, ein ehrliches Haus zu sein, und Ludovico gilt als feiner Kerl. Der Besitzer hat noch an Seriosität gewonnen, als er überraschend vor kurzem als Vertreter des Stadtteils in den Rat gewählt wurde.

Gasthaus Guleks Hof (Q1, P1,S variabel) (3)

Wer mit wenig Geld und viel Hoffnung, viel Geld und wenig Hoffnung oder keinem von beiden nach Riva gekommen ist, der landet früher oder später in diesem Gasthaus, das aus mehreren Gebäuden besteht und einen ganzen Häuserblock ausmacht. Früher lebten hier eine Zeitlang die Holberker der Gulek-Sippe. Doch diese Ork-Elfen-Mischlinge haben vor ein paar Jahren plötzlich die Stadt verlassen. Warum sie gingen, weiß ebenso wenig jemand wie, warum sie überhaupt einmal in Riva aufgetaucht waren. Sicher ist: Gemocht hat sie keiner. Die Holberker trieben Handel mit Orks und Norbarden sowie mit den Leuten in der Stadt, blieben jedoch unter sich und mussten jede Menge Misstrauen und üble Gerüchte über sich ertragen: Dass sie die Stadt an die Orks verraten würden; dass sie schwarzmagische Kreuzungen und von diebischer und gewalttätiger Natur seien und dergleichen mehr. Und doch war man beunruhigt, als die Holberker eines Tages mit Sack und Pack die Stadt verließen: Welches Geheimnis kannten sie, das sie aus der Stadt vertrieb? Nahte Unheil?

Waren die Rivaner bedroht? Was war mit den Dingen, die von den Holberkern in ihren Behausungen zurückgelassen wurden? Es dauerte fast ein Jahr, bis die Nachbarn – obschon sie zu den Ärmsten der Armen gehörten – sich in die Häuser der Gulek-Sippe wagten und dort Quartier bezogen. Heute sind alle Gebäude in Beschlag genommen und dienen als Heimstätten sonst obdachloser Familien, als billige Ställe für die Gäste, die in der von Alrik Raubach betriebenen Herberge unterkommen. Auf dem Hof stehen grob zusammengestellte Tische und Bänke, wo man im Sommer tafelt, und in den Häusern sehen die Möbel nicht weniger zusammengesucht aus. Irgendwann, da sind sich die braveren Bewohner im Underen Wyk sicher, werden die Dächer über dem Gesindel zusammenbrechen, weil niemand sie ausbessert, oder die Holberker werden zurückkommen und denen übel mitspielen, die ihre Häuser besetzt haben.


Язык: Deutsch | Категория: Beitrag | Дата: 17.05.24 | Просмотров: 125 | Отзывов: 0

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