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Nivesische Musik

Wenn man von nivesischer Musik spricht, werden die meisten Menschen an die kleinen, zierlich geschnitzten Beinfl öten denken, die von Festum bis Norburg auf jedem Markt feilgeboten und auch von des Spielens Unkundigen wegen ihres hübschen Aussehens gern erworben werden – als Glücksbringer oder Mitbringsel zum Beispiel. Ihnen ein paar Töne oder einfache Melodien zu entlocken, fällt nicht schwer, mit der typischen, hoch trillernden nivesischen Flötenmusik hat dies allerdings wenig gemeinsam.

Nivesische Musik erscheint dem Ohr des Fremden extrem abwechslungsarm, ja geradezu monoton. Mag er sich auch an der Kunstfertigkeit des Flötenspiels erfreuen, es sind doch immer dieselben Läufe und Triller, die er zu hören glaubt. Mag er bewundern, wie sehr man die Klangfarbe des Maultrommeltons durch Blähen der Backen oder Spitzen des Mundes variieren kann, es ist doch immer derselbe Ton, der variiert wird. Und die sich ständig wiederholenden Bassläufe sind auch nicht gerade dazu angetan, die Einförmigkeit der Musik zu beleben.

Es ist wohl so, dass nur die unendliche Weite und Monotonie der Steppe eine solche Musik hervorbringen konnte. Sie wirkt auf Fremde wie von tiefer Melancholie durchdrungen. Eine solche Einschätzung erheitert die Nivesen allerdings, denn sie selbst empfi nden ihre Musik als fröhlich, und die Texte ihrer Lieder sind zumeist auch gar nicht trübsinnig, sondern preisen im Gegenteil die Schönheit des Landes mit seinen weiten Flächen des sich in Wind wiegenden Grases, die Schönheit der Wölfe, die Schönheit der Karene und die Schönheit der jungen Frauen und Männer.

Den dumpfen Rhythmus seiner Lieder erzeugt der Nivese mit Hilfe einer kleinen Trommel, Bunga genannt, und die immer gleichen Bassläufe zupft er auf der Zurr, einem etwa ein Schritt langen Holzrohr, vor das eine einzelne Darmsaite gespannt ist, die neben dem tiefen, eigentlichen Ton surrende Nebentöne erzeugt. Auch die Maultrommel ist ein typisches Niveseninstrument, jedoch nicht aus Metall gefertigt – die Nivesen als Nomadenvolk verstehen sich nicht auf die Metallverarbeitung – sondern aus Bein, Holz und schwingenden Rohrblättern. Die Bukkaluula, ein zwölfsaitiges Instrument mit trapezförmigem Korpus, sehr beliebt bei den sesshaften Nivesen im nördlichen Bornland, fi ndet man bei den Nomaden jedoch nur vereinzelt.

Der seltsame Gesang, mit dem einige Nivesenvölker den Fremden verblüffen, wurde ursprünglich von den Schamanen als Einstimmung zur Trance entwickelt. Alle Schamanen beherrschen ihn meisterlich. Ein Gast, der ihn zum ersten Mal vernimmt, glaubt einer Sinnestäuschung zu erliegen und fragt sich, wo sich der zweite Mann oder die zweite Frau versteckt halten mag, wenn er es zweistimmig aus einem Munde schallen hört. Dieser zweistimmige Gesang, auch als Obertongesang bekannt, gleicht dem der Elfen jedoch in keiner Weise; er beruht ausschließlich auf einer besonderen Atemtechnik in der die Luft auf spezielle Weise durch Kehlkopf und Gaumen gepresst wird. Über einem tiefen, bisweilen unschön rauen, ja heiseren Grundton, der kaum variiert wird, erhebt sich ein unglaublich helles Pfeifen, Flöten und Trällern.

Natürlich sind die Nivesen auch in der Lage, ‘normal’ zu singen. Dann übernehmen die Männer den tiefen Part, und die Frauen zwitschern hell und hoch dazu, so dass sich ein ähnlicher, aber weit weniger faszinierender Effekt ergibt.

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Язык: Deutsch | Категория: Beitrag | Автор: Im Bann des Nordlichts | Дата: 02.05.24 | Просмотров: 27 | Отзывов: 0

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