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Das Karen als Lebensgrundlage

Die Nivesen ziehen mit ihren Karenen im Frühjahr von Süd nach Nord und im Herbst von Nord nach Süd, das ist allgemein bekannt. Sicher sind Sie dann erstaunt, wenn wir Ihnen jetzt erzählen, dass dem nicht so ist. Es verhält sich nämlich tatsächlich genau anders herum: Die Karene ziehen mit ihren Nivesen! Der Wandertrieb ist den Tieren angeboren, und es ist schlicht unmöglich, eine Herde im Frühling oder Herbst aufzuhalten. Versuche im Bornland haben gezeigt, dass die Tiere verkümmern und erkranken, wenn man sie ihren Wandertrieb nicht ausleben lässt. Die Tiere bestimmen also die Wanderrouten und die sommerlichen und winterlichen Weideplätze. Die Nivesen folgen ihnen und ertragen diese frühjährlichen und herbstlichen, oft gefährlichen Reisen mit stoischem Fatalismus.

Über viele Generationen sucht eine Herde immer dieselben Weidegründe auf, so dass sich die einzelnen Stämme kaum in die Quere kommen, was natürlich auch ein Grund für die Friedfertigkeit der Nivesen untereinander ist.

Die Karene sind halb wild, nur wenige können als Lasttiere abgerichtet werden. Die riesigen Herden werden von Hirten (die nach einer Art Dienstplan vom Lahti eingeteilt werden) mit Hilfe ihrer Hunde (der berühmten Nivesischen Steppenhunde) zusammengehalten. Die Karene gehören zwar einzelnen Familien, sie werden aber in einer einzigen, großen Herde gehalten. Jeder weiß, wie viele Tiere sein Eigentum sind und wie viele er entsprechend nutzen kann (nämlich ein Fünftel, um den Bestand der Herde nicht zu gefährden). Müssen, etwa in einem harten Winter, mehr Tiere geschlachtet werden, wird darüber erst in der Sippe beraten und abgestimmt. Die Anzahl der Karene, die man besitzt, ist bei den Nivesen das einzige Maß für den Wohlstand. Um seine Tiere von denen anderer Familien zu unterscheiden, bindet der Nivese den Karenen bunte Bänder ins Geweih oder um den Hals. Kündigt sich Nachwuchs an, gehört das Kalb demjenigen, dem auch das Muttertier gehört. Die Auelfen akzeptieren, dass Karene mit bunten Bändern im Gehörn Eigentum der Nivesen sind, weil diese nur mit so vielen Tieren ziehen, wie sie zum Leben brauchen. Gänzlich anders verhält es sich mit den Goblins im Süden. Zwischen ihnen und den Nivesen kommt es gelegentlich zu regelrechten Kriegen.

Sollen Tiere aus der Herde separiert werden, setzen die Hirten Rooken, ihre Wurfkeulen, ein. Dies sind speziell ausgewogene Holzstücke, die, von kundiger Hand geworfen, gerade soviel Schwung erreichen, dass sie ein Karen betäuben und langsamer laufen lassen, so dass man es leicht am Geweih packen, niederringen und fesseln kann.

Es ist ungefährlich, sich mitten in eine Karenherde zu begeben. Die flinken und schlanken Tiere weichen, anders als schwerfällige Rinder, jedem Hindernis aus.

Das Karen liefert den Nivesen eigentlich alles, was sie zum Leben brauchen, und so ist es nicht verwunderlich, dass sie stets den Herden folgen. Karene dienen als Zug— und Lasttier, bieten Fleisch als Nahrung, und aus den Fellen werden Kleidung und Zelte genäht. Das zottelige, lange Haar vom Hals der Tiere wird zu Wolle versponnen. Werkzeuge, Musikinstrumente, Spielzeug, Nadeln und Schmuck werden aus Geweih (auch weibliche Karene tragen eins), Bein oder den ausgeprägten Eckzähnen der Tiere gefertigt, ebenso Messer, Pfeil— und Speerspitzen. Klingen stellen die Nivesen bisweilen aber auch aus Feuerstein her, Kleidung wird manchmal auch aus Birkenrinde gefertigt, die mit besonders dünnen Lärchenwurzeln vernäht wird.

Aus dem Holz der Boronsbirke macht man Pfeil und Bogen, als Sehnen dienen dabei wiederum Karensehnen. Jagdpfeile sind gefi edert, um den Flug zu stabilisieren und die Durchschlagskraft zu erhöhen, Kriegspfeile sind dagegen ungefi edert und weniger tödlich, da Nivesen nicht daran gelegen ist, menschliche Gegner zu töten.

Töpfe und Gefäße brennt man aus Ton, Farben gewinnt man aus Erde oder Beeren. Aber obwohl sich somit eine Nivesensippe selbst versorgen kann, ist sie den ‘Segnungen der Zivilisation’ nicht gänzlich abhold. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, tauscht sie bei fahrenden norbardischen Händlern Felle gegen nützliche oder schöne Dinge ein. Besonders begehrt sind natürlich Waffen, Werkzeuge und Töpfe aus Eisen. Nach einer guten Jagd leistet man sich vielleicht auch noch ein Schmuckstück oder bunte Glas— oder Holzperlen, mit denen die Gewänder verziert werden. Auch farbiges Tuch ist bei den Nomaden sehr begehrt, denn die Nivesen schmücken sich sehr gern. Sie binden bunte Bänder in ihr Haar oder schminken sich mit Rosenblättern Augenlider und Wangen rot.

Boote und andere Wasserfahrzeuge sind bei den Nivesen nicht weit verbreitet. Lediglich einige Stämme, die ihr Sommerlager in der Nähe großer Flüsse oder gar am Meer aufschlagen, bauen einfache Kajaks. Diese bestehen aus einem leichten Holzgerippe, auf das Karenhäute gezogen werden. Die bis auf die Einstiege geschlossenen Fahrzeuge sind erstaunlich seetüchtig und eignen sich zum Fischfang in Küstennähe oder auf reißenden Flüssen. Tritt dann die Sippe im Herbst die Reise in den Süden an, nimmt man nur die Bespannung der Boote mit. Das sperrige Gerippe lässt man zurück; es wird im nächsten Sommer neu gebaut.

Einige halbsesshafte Nivesensippen bei Leskari oder Frisov bauen auch größere Boote, die ebenfalls aus einen Holzgerüst bestehen, das mit Robbenfellen verkleidet wird. Ein solches Umjak fasst sechs bis acht Personen und wird zur Wal— und Robbenjagd oder als Transportboot eingesetzt.

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Язык: Deutsch | Категория: Beitrag | Автор: Im Bann des Nordlichts | Дата: 02.05.24 | Просмотров: 28 | Отзывов: 0

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