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Aelderfried

Früher, ja da war Riva ein sicherer Hafen. Aber seitdem diese Herumtreiber in Massen in die Stadt drängen, ist es mit dem Frieden vorbei. Wie in Mengbilla geht es hier zu, alle naselang treibt jemand mit aufgeschlitztem Bauch im Hafenbecken oder liegt einer zu Tode geprügelt in einer dunklen Gasse. Man ist seines Lebens nicht mehr sicher. Und wisst ihr, was ich auch gehört habe? Die Schweine, die dieser nivesische Wäscher hält, die sind nicht etwa so fett, weil man sie mit Küchenabfällen mästet. Ja, glotz du nur, du Gimpel. Die Leichen verfüttern sie an die Viecher, ich schwör es euch.

—Asmodette Bramhusen, Kapitänin der Königlich Salzaranischen Handelskompagnie, zeitgenössisch


Der älteste Stadtteil Rivas ist Aelderfried, dessen Wahrzeichen die massige Dragenburg ist. Das Viertel ist auf festem Felsengrund errichtet und vor Überschwemmungen weitgehend gefeit. Schmucke Patrizierhäuser säumen die verwinkelten Gassen, in denen Kaufleute, Edelhandwerker und Patrizier – kurz – alle die, die es in der Stadt zu etwas gebracht haben, wohnen. Mögen die Häuser mit den charakteristischen Stufengiebeln auch vergleichsweise bescheiden anmuten, wer hier wohnt, kann zumeist auf eine lange und erfolgreiche Tradition als Bürger der Stadt zurückblicken. Sittsamer Bürgerstolz und patrizische Tugenden herrschen hier. Man ist stolz auf das, was man mit der eigenen Hände Arbeit und kaufmännischem Geschick geleistet hat, und kein Adel ist da, der von Praios’ Gnaden diesen Bürgersinn beschneiden könnte. Hier herrscht auch der alte Rivaner Geist: Eng zusammenstehen und füreinander da zu sein, da niemand sonst es tut. Erst in jüngster Zeit hat die allgemeine Verrohung der Sitten in der Stadt auch hier erste Auswirkungen gezeitigt. Immer häufiger schaut man auch in den besseren Kreisen zunächst auf das eigene Wohl, statt sich um das aller zu bemühen.

Versuchen von Neubürgern, sich in Aelderfried niederzulassen, haben sich die Alteingesessenen bislang erfolgreich erwehrt. Das geht so weit, dass leerstehende Häuser aufgekauft werden, um zu verhindern, dass ein interessierter Neubürger, den man nicht will den Zuschlag bekommt. So ein Haus steht dann gegebenenfalls leer, die Läden verrammelt, Treppenstufe und Ziegelritzen von Moos überwuchert.

Die Gassen im Aelderfried sind sämtlich gepflastert, man achtet auf Sauberkeit und darauf, dass niemand seinen Abfall in die Gasse schüttet oder sein Vieh auf der Straße hält, wie es in den anderen Vierteln durchaus üblich ist. Zu den illustren Bewohnern des Viertels gehört auch der berühmte Instrumentenbauer Storanio Vardari.

Die Dragenburg (1)

Die trutzige Burg, steinerner Wächter über die Hafeneinfahrt, scheint auf den ersten Blick aus dem Felsengrund emporzuwachsen. Mauern und Türme bestehen aus demselben Stein wie der erhabene, mit Flechten überwachsene Felsen, auf dem sie sich gründet, nicht jedoch Wohnturm und Wirtschaftsgebäude, deren obere Geschosse aus weiß gekalktem Backstein gemauert sind, denn Naturstein ist rar in dieser Gegend.

Insbesondere seit Gloranas Herrschaft nimmt man die Instandhaltung der Anlage und den Wachdienst ernster, wovon auch zwei mittlere und eine schwere Rotze auf den Türmen künden. Der umlaufende Wehrgang ist zum Schutz gegen die unwirtliche Witterung und mögliche Pfeilhagel überdacht.

In der Burg haben Stadtgardisten und Söldner ihr Domizil. Der Sitz der Gardisten befindet sich traditionell im Wohnturm, ein karges und klammes Quartier, wo es in allen Ecken zieht. Die Gardisten neiden den Söldnern zwar ihre leidlich bequemeren Stuben in einem der Wirtschaftsgebäude, würden aber dennoch niemals ihr Privileg aufgeben. Die älteren Gebäudeteile sowie Wasserspeier und Verzierungen erinnern noch heute an die Erbauer der Feste, Abbildungen zeigen kämpfende Drachen, längst vergessene Wappen und rondrianische Symbolik, von denen viele jedoch vom rauen Klima fast zur Unkenntlichkeit verschliffen sind. Ein Rondra-Schrein im Wohnturm hat jedoch die Zeiten überdauert, er wird von den Gardisten in Ehren gehalten. Der Schwertbund indes scheint den Schrein vergessen zu haben, denn niemand kann sich erinnern, wann das letzte Mal ein Rondra-Geweihter in Riva war, den Schrein neu zu weihen. Ein gut erhaltenes Halbrelief zeigt Rondra im Kampf mit dem löwenhäuptigen Famerlor, daneben finden sich archaische Abbildungen von Gerüsteten, die mit großen Speeren gegen echsenähnliche Wesen kämpfen. Auffällig ist ein faustgroßes Kupferhalbrelief, das in die Mauer eingelassen ist und einen männlichen Löwenkopf zeigt, der einstmals wohl etwas im Maul hielt. Heute sind zwei der Reißzähne abgebrochen, der mutmaßliche Inhalt verschwunden.

Die Burg verfügt über weitläufige Keller, in denen nicht nur Vorräte für den Kriegsfall und Waffen gelagert werden, sondern auch einige Kerkerzellen untergebracht sind.

Der größte, dem Hafenbecken zugewandte Turm der Burg trägt unterhalb des Zinnenkranzes einen ungewöhnlich großen Wasserspeier in Gestalt eines löwenhäuptigen Gargyls. In Riva kennt man die Figur unter dem Namen Farom und es heißt, er wäre der Letzte der Famerlorianer, der aufmerksamen Blicks über die Feste wacht und sie gegen jeden Feind verteidigt. Tatsächlich wollen einige Wachen bemerkt haben, dass Farom seine Position alle paar Wochen ein wenig ändert und manch einer schwört Stein und Bein, dass er in stürmischen Nächten gar abhebt, um die Burg zu umkreisen. Seine Krallen sollen auf der Feste, aber auch auf manchem Dach der Stadt tiefe Kratzspuren hinterlassen, sein Anblick manch nächtlichem Herumtreiber nächtelange Alpträume bereiten.

Das Rotgiebelhaus, Wohnstatt der Familie Ingstrok (8)

Das Rotgiebelhaus ist ein typisches Beispiel eines Rivaner Patrizierhauses: drei Stockwerke hoch, mit schmaler Vorderfront, hohen, spitzbogigen Fenstern und einem steilen Ziegeldach. Der Stufengiebel ist mit allerlei Zierrat und Durchbrüchen versehen. Die einstigen Lagerräume im Erdgeschoss hat man zu einer Schreibstube und einem Empfangssalon umgewidmet, derweil die gute Stube im ersten Geschoss, ein mit Butzenfenstern und Kachelofen prachtvoll ausgestatteter Raum und die Schlafräume im obersten Geschoss noch genauso aussehen, wie zu der Zeit, als das Haus Wohn- und Geschäftssitz zugleich war. Das Schnitzwerk an den holzgetäfelten Wänden und dem Treppengeländer sucht in Riva seinesgleichen, es stammt von der Hand eines halbelfischen Künstlers. Mobiliar und Ausstattung sind gediegen, sie künden vom Reichtum der Bewohner, ohne protzig zu wirken.

In einem Anbau im Hinterhof befindet sich die Küche, auch die Dienstboten haben hier ihre Schlafstätten. Das breite Tor, das einstmals Karren als Durchfahrt in den Hof, der von weiteren Lagerräumen umringt ist, diente, ist ebenso erhalten, auch wenn die vornehmen Bewohner es mittlerweile bevorzugen, die neu angelegte Spitzbogenpforte zu nutzen.

Die Ingstroks sind der Inbegriff einer Rivaner Patrizierfamilie: altehrwürdig, sittenstreng und moralisch integer, geschäftstüchtig, aber nicht gierig. Man begegnet dem Neuen mit Vorsicht und schätzt das Althergebrachte, investiert konservativ und hält sich von Flausen fern. Kurz und gut, man hat es mit dem Vertreter einer vergangenen Zeit zu tun.

Das Geschäft der Ingstroks ist insbesondere durch den Handel mit Salz und Salzfisch groß geworden, außerdem exportiert man feine Lederwaren und hochwertige Tuche.

Matti Ingstrok, Patriarch der Familie, war bis zu seiner jüngst erfolgten Abwahl lange Jahre Bürgermeister der Stadt. Die unerwartete Niederlage hat dem honorigen Mann einen schweren Schlag versetzt. Es ist ihm, als wäre mit seiner Abwahl das Ende des Rivas, für das er steht, endgültig gekommen.

Villa Syphax (9)

Die Villa der Familie Syphax fällt mit ihrem weißen Putz, den Ziertürmchen und dem nach Garether Mode angelegten Garten, mit Wasserspielen und kiesbestreuten Wegen aus dem sonst bescheidenen Rahmen. Zu allem Überfluss hat der Vorfahr der letzten Erbin Donatella (siehe Seite 143) das Haus nicht wie üblich mit der Giebelseite, sondern mit der Längsseite zur Straße gebaut, eine unerhörte Verschwendung, bemisst sich die Grundsteuer doch nach dessen Breite zur Straße.

Der säulengeschmückte Porticus und die doppelflügelige Eingangstür, das Prunkstück eines horasischen Meisters mit kunstvollen Schnitzereien, suchen an Eleganz ihresgleichen.

Die Herrin des Hauses war für ihre Gesellschaften bekannt, zu denen sie gerne Weitgereiste einlud, die von ihren Erlebnissen berichteten. Das Haus war für Künstler eine Insel in einem Meer aus Nüchternheit. Man schätzte die Gesellschaft von Poeten, Malern und Musikern – in einer Stadt, in der Kunst nur dann geduldet wird, wenn sie auch einen Nutzen hat, keine Selbstverständlichkeit. Da die Letzte der Familie als hoffnungslos verschuldet gilt und auch schon damit begonnen hat, das Tafelsilber zu verscherbeln, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis das Haus einen neuen Eigentümer bekommt.

Mancher zerreißt sich nun das Maul über die unglückliche Familie und wähnt Verschwendung und Luxussucht als Ursache des Niedergangs. “So etwas kommt von so was ...”, heißt es hinter vorgehaltener Hand, wenn Donatella sich mit gramgezeichnetem Gesicht und starr um Haltung ringend in der Stadt blicken lässt.

Das Haus zum Delphin (10)

Das schlichte Haus an der Fischergasse ist das neue Domizil von Dermot von Paavi, rechtmäßiger Erbe des Herzogsthrons von Paavi, der der Eishexe Glorana weichen musste. Das Haus gehört Renard Fuchsbach, einem tief efferdgläubigen Mann, der den tapferen Paavier, eine der Symbolfiguren des Widerstands gegen die Heptarchin, freigebig unterstützt.

Wenn Dermot in Riva weilt, ist das Haus, dessen Giebel mit einem geschnitzten springenden Delphin geschmückt ist, ein Anlaufpunkt für Kämpen gegen die Eishexe. Hier werden neue Pläne geschmiedet, Informationen ausgetauscht und Unterstützer untergebracht, hier sammelt man Geld und Güter für den nächsten Schlag, lagert die nötige Ausrüstung und Vorräte. Der Patrizier Fuchsbach, der gar kein eigenes Kontor mehr, sondern nur Beteiligungen an den Unternehmungen anderer Händler unterhält, hat seine Anteile an zwei Handelskoggen dem landlosen Herzog von Paavi überlassen, um den heiligen Kampf zu finanzieren.

Nandus-Villa (11)

In dieser alten Bürgervilla sollte ein Nandus-Tempel entstehen, doch reichten die Spenden nicht aus und der Geweihte zog weiter. Stattdessen dient das Haus nun der Privatlehrerin Dolara Engstrand, deren Name von ihren Schülern gerne zu Strenghand verballhornt wird, als Schulgebäude, in dem sie den Nachwuchs solventer Bürger unterrichtet. Für fortgeschrittene Eleven bietet sie außerdem Stunden in angewandter Rhetorik und Fremdsprachenunterricht an. Die gestrenge Frau ist bei den Eltern ob ihrer Erfolge ebenso beliebt wie bei den Schülern ob ihrer harten, unnachgiebigen Hand berüchtigt. Es heißt, bei Dolara könne selbst ein Ork Lesen und Schreiben lernen.


Язык: Deutsch | Категория: Beitrag | Дата: 17.05.24 | Просмотров: 127 | Отзывов: 0

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